Erinnerungsblättchen Nr. 35 erhältlich
Es waren alles Bäckermeister, die Vorfahren des Kaufmannes Friedrich Wilhelm Ratig. Das konnte der passionierte Heimatforscher auch in eigener Sache in Perleberger Archivalien und Kirchenbüchern bis 1582 zurückverfolgen. Trotz Kriegszeiten und Überfällen mit einhergehenden Verwüstungen, die die wohlhabende Stadt Perleberg erleiden musste, hat die Bäckerfamilie Ratig offenkundig immer wieder aufgebaut und weitergemacht. Der am 12.06.1851 geborene F.W. Ratig erlernte allerdings nicht das Bäckerhandwerk, sondern wurde Kaufmann. Nun bietet sein 165. Geburtstag Anlass für ein Erinnerungsblättchen, das sein Wirken für die Stadt würdigen will.
Friedrich Wilhelm Ratig begann, sich für Altertümer und die Familiengeschichte zu interessieren, sammelte schließlich kunstvolle Gegenstände, archäologische Objekte, die bei der regen Bautätigkeit um 1900 zu Tage traten, bewahrte Spruchbalken von abgerissenen Fachwerkhäusern, kaufte den Leuten mitunter Zinngerätschaften, Keramik, Möbel ab und umgab sich so nach seinem Verständnis mit schönen Dingen. Als Handwerkskunst könnte man das heute auch bezeichnen, aber für Ratig waren es bewahrenswerte Altertümer, weil er die Veränderungen in seiner Zeit wahrnahm. Die Bürger trennten sich den alten Dingen, deren Wert sich veränderte. Es war das Industriezeitalter, das auch in der Kreisstadt Perleberg das Leben umgestaltete. Die „Zeichen der Zeit“ drängten sich ins Bewusstsein eines Jeden: Eisenbahn, Gas und Elektrizität, kleine Fabriken, neue Gebäude, Wohnkultur, industrielle Warenproduktion und zweckmäßige Gebrauchsgegenstände bis in den Haushalt der Bürger. Werkzeug kaufte man beim Eisenwarenhändler, das in Fabriken hergestellt wurde und per Katalog und Bestellung an den Kunden gelangte. Nicht mehr Schmied oder Böttcher, Töpfer, Zinngießer oder Kesselschmied machten das Geschäft, sondern Fabrikanten mit Industriewaren aus neuen Materialien wie Glas, Porzellan, Aluminium, Eisenguss. Individuelle Handwerkskunst konnte gegen günstige Preise der Fabrikerzeugnisse nicht konkurrieren.
Ratig gilt als der Gründer der Altertumsdeputation und des Perleberger Museums. Seine Privatsammlung ist der Grundstock des heutigen Stadt- und Regionalmuseums. Er verstand es, gemeinsam mit anderen Honoratioren, seine Sammelleidenschaft für die Stadtgeschichte Perlebergs und der Prignitz in öffentliches Interesse zu verwandeln. So befinden sich heute gegenständliche und schriftliche Zeugnisse der Alltags- und Festtagskultur der Perleberger Bürger und Prignitzer Landbevölkerung, Erzeugnisse und Werkszeuge der Perleberger Zunfthandwerker, Objekte zur Baugeschichte der Stadt, sowie archäologische Fundstücke aus mehreren tausend Jahren im Perleberger Museum. Das 1905 gegründete Museum zählt heute aufgrund seines Alters und seines umfangreichen Sammlungsbestandes zu den bedeutendsten im Land Brandenburg. Wilhelm Ratig starb am 3.3.1929.
Auf der Rückseite des Erinnerungsblättchens wird das Gebäude in der Wittenberger Straße 91 vorgestellt. Seine Errichtung veranlasste die Loge „Zur Perle am Berge“ im Jahre 1907. Schließlich gehörte auch Wilhelm Ratig der Logenvereinigung an und arbeitete mit anderen Perleberger Logenbrüdern bei der Gründung des Perleberger Museums zusammen. Zwischen 50 und 80 Perleberger Personen, die u.a. als Unternehmer, Fabrikanten, Handwerksmeister im öffentlichen Licht standen, gehörten bis zu deren Auflösung 1935 der Loge an. Offizierskasino, Finanzamt, Kindergarten, Jugendclubhaus waren die späteren Nutzungen des Hauses. Seit 1997 ist das „Effi“ dort etabliert.
Text: Martina Hennies, Stadt Perleberg
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